Staffing: Stinkt der Fisch wirklich immer vom Kopf?

 

Sich auf Social Media über die Zustände am eigenen Arbeitsplatz oder die Vorgesetzten auszulassen, scheint geradezu en vogue zu sein. Doch ab wann werden diese Sticheleien zu einem manifesten „Mobbing-von-Unten“-Problem? Welche Faktoren begünstigen das? Und sind Führungskräfte einfach selbst schuld, wenn sie „gestaffed“ werden? Ricarda Rafalski, Psychologin, bei INSITE, führt uns in diesem Beitrag näher an die Thematik heran.

 

Während es im Internet zahllose Artikel, Tweets sowie Beiträge auf Portalen gibt, in denen sich Mitarbeitende über Bossing und gemeine Chefs auslassen (klar, es gibt weitaus mehr Mitarbeitende als Führungskräfte), findet das entgegengesetzte Phänomen noch erstaunlich wenig Beachtung in unserer Gesellschaft. Und doch gibt es das – Und es ist nicht weniger relevant: das sogenannte Staffing1 oder auch Upward Bullying2.

 

Staffing ist eine Form des Mobbings, das über Hierarchieebenen hinweg stattfindet. Anders als beim Bossing – einer Mobbing-Form, die von Vorgesetzten gegenüber Mitarbeitenden ausgeübt wird – ist die Richtung beim Staffing von unten nach oben. Hier wird die Führungskraft mit allen möglichen Mitteln und dem Ziel der Ausgrenzung, bis hin zur Kündigung, vom Team angefeindet, diskreditiert und gedemütigt1. Die physische und psychische Gesundheit der vorgesetzten Person kann massiv darunter leiden3, 4.

 

Die Handlungsmöglichkeiten, die Teammitgliedern dafür zur Verfügung stehen, sind groß: Gerüchte in die Welt setzen, Informationen vorenthalten, passiv-aggressives Verhalten in gereizt-genervter Tonlage, Zynismus, aber auch die Nichterledigung von Aufgaben unter fadenscheinigen Begründungen5,6. Brisant wird es, weil eine Führungskraft am Erreichen der Teamziele gemessen wird.

 

Oft liest man, Mobbing am Arbeitsplatz sei im Kern ein Problem des Führungsstils, da sich eine Führungskraft in der Verantwortung für das durch sie entstehende Betriebsklima sehen müsse1, 3, 5. Aber gilt das auch, wenn die Führungskraft selbst Ziel der Angriffe wird? Überspitzt gefragt: Ist sie an ihrer Situation einfach selbst schuld?

 

In Zeiten von zunehmender Relevanz der Gesundheit am Arbeitsplatz, Agilität, Diversität und Veränderungen von Unternehmenshierarchien müssen die Entstehungsbedingungen von Staffing in Unternehmen mitbedacht werden, damit Führungskräfte und ihre Teams, die an sie gestellten Aufgaben gemeinsam gut erfüllen können und es gar nicht erst dazu kommt, dass renitente Teams eine Führungskraft nach der anderen „verheizen“. Denn so schadet Staffing im Endeffekt einem gesamten Unternehmen4, 5, 8.

 

Unter welchen Bedingungen entwickeln sich Staffing-Dynamiken und was lässt sich dagegen tun?

 

Gleich zu Beginn dieser Bestandsaufnahme sei erwähnt, dass sich zur Verbreitung von Staffing wenig seriöse Befunde in der Arbeitsplatzforschung finden. Die Datenlage ist dünn. In der EAP-Beratung begegnet es uns gleichwohl. Vielleicht liegt es auch daran, dass es deutlich schwerer ist, sich als Führungskraft einzugestehen, dass man gestaffed wird, als sich als Bossing-Opfer zu sehen4, 5, 9. Beim Staffing wird die Hierarchie infrage gestellt, beim Bossing nicht.

 

Beim Phänomen Staffing lässt sich oft eine Umkehr der Identifikation mit den Rollen „Täter“ und „Opfer“ beobachten, die nicht der Realität entspricht: Die staffenden Mitarbeitenden erleben sich selbst – wie auch beim Bossing – als Opfer ihrer Führung und rechtfertigen damit gewaltsames Täterverhalten2. Und das geht nur in einer größeren Mittäterschaft (auch durch Unterlassung!), denn alleine funktioniert Staffing nicht2. Durch aggressives Verhalten gegenüber der Führungskraft wird versucht Unzufriedenheit, empfundene Bedeutungslosigkeit und Asymmetrie in der Hierarchie auszugleichen. Aus Ohnmacht wird Macht, Schwäche verkehrt sich in Stärke.

 

Begünstigende Faktoren

 

Staffing-Dynamiken werden durch ein Zusammenspiel aus Umgebungs- und Personenfaktoren begünstigt. Vor allem Arbeitsplätze mit großem Hierarchiegefälle, geringen Budgets, einer hohen Anzahl detaillierter Vorschriften sowie hohen Anforderungen bei geringen Handlungsspielräumen7 scheinen es stärker hervorzubringen9.

 

Was den Führungsstil und das Führungsverhalten betrifft, gibt es keine eindeutige Tendenz, welcher der beste oder der schädlichste ist. Einerseits kann ein zu autoritärer Führungsstil Unmut in der Belegschaft begünstigen, insbesondere kombiniert mit Überheblichkeit, Willkür, Intransparenz und unbeherrschtem Auftreten7. Andererseits sind ein zu laxer Führungsstil sowie auch „blinder Aktionismus“ ebenso problematisch 5, 9 – denn durch letzteren offenbart sich, dass einer Führungskraft die Kontrolle entgleitet.

 

Entscheidend ist vor allem die Passung vom Führungsstil, dem Unternehmen und dem Team. Der Faktor der Passung erklärt auch, weshalb Staffing meist dann auftritt, wenn es zu einem Führungswechsel kommt3, 5, 6 und die Passung erst neu gefunden werden muss – von beiden Seiten aus. Grundsätzlich sind dadurch neue Führungskräfte (v. a. junge und weibliche7, 8, 10) in einer vulnerablen Situation. Egal, ob sie von außen oder von innen hinzukommen: Eine neue externe Kraft muss sich mit den Gegebenheiten und Abläufen eines Unternehmens vertraut machen, Vorurteile widerlegen und neben stiltechnischen kann es auch leicht zu formellen Fehlern kommen. Interne neue Führungskräfte hingegen sind zudem öfter von Neid, Missgunst und Rivalitäten im Team betroffen7, 8.

 

Finden Team und Führung nicht zusammen, kann ein Team – bewusst oder auch unbewusst – die Führungskraft zu Fall bringen.
 

Was tun bei Staffing?

 

Aber trägt für solche Dynamiken nicht doch auch eine Führungskraft selbst die Verantwortung? Kurz gesagt: Jein. Selbstverständlich hängt die Teamdynamik stark von der Konfliktfähigkeit, der mentalen und physischen Stabilität11, 12 sowie dem kommunikativen Können einer Führungskraft ab. Und dennoch gibt es Situationen, gegen die sie nicht ankommen. Entscheidend ist dann der Schutz durch höhere Instanzen und das Einhalten des gesetzten Rahmens.

 

Das Leitbild, der Code of Conduct oder sonstige niedergelegte Umgangsregeln müssen ausnahmslos für alle gelten. Konsequenzen bei Fehlverhalten oder Angriffen müssen klar sein23, 4, 6, aus welcher Richtung sie auch kommen mögen. Diesem Prozess Raum zu geben, ihn mit Sorgfalt zu betreiben, zu verschriftlichen, klar zu kommunizieren und offen zu leben, ist ein wichtiger Schritt, dominanten Störern „den Garaus“ zu machen4. Auch wenn ein Leitbild o.ä. allein kein Problem löst, bietet es zumindest einen Bezugsrahmen für Lösungen.

 

Es hilft auch nicht, Hierarchien nur zu verflachen, um sich mehr „auf Augenhöhe“ zu begegnen. Eine Passung von Hierarchie zu Führungsstil sowie zu dem, was ein Team, eine Branche und ein Team bislang gewohnt sind, ist herzustellen. Werden Veränderungen angestrebt, muss ein Team bei seinen Gewohnheiten abgeholt werden. Neue Führungskräfte sind dahingehend auf ihre Rolle vorzubereiten und zu begleiten. Ein wirksames Instrument kann ein Coaching innerhalb der ersten 100 Tage sein6, 8.

 

Ein konstruktives, von Lösungsorientierung geprägtes Klima zu erzeugen, ist dabei ebenso unerlässlich, wie Mut zur Verantwortungsübernahme auf allen Ebenen. Das Gefühl von Selbstwirksamkeit ist eine der tragfähigsten Säulen für anhaltende Motivation. Das gilt für alle Ebenen und Hierarchiestufen. Doch dafür bedarf es Handlungsspielräume und Vertrauen. Nur so können sich Teamdynamiken von der Suche nach „Schuldigen für Probleme“ hin zu der Suche nach „Entdeckern von Lösungen“ verändern. Als Nebeneffekt ist es dann nicht mehr so leicht, die „Schuld“ nach oben oder unten abzuwälzen. Was in punkto Mindset und Konfliktfähigkeit für die Führungskraft gilt, muss auch für jedes Teammitglied gelten.

 

Zudem sprechen wir noch zu wenig darüber, dass Empathie über Hierarchieebenen gezeigt werden kann. Ein wichtiger Aspekt ist dabei, dass sich Führungskräfte als authentische Personen mit eigenen Belangen und angstfrei zeigen können. Partizipation und Empowerment gehen mit Vertrauen und Loslassen einher. Die Komfortzone zu verlassen, ist für manche mit großer Überwindung verbunden, kann aber das Teamklima enorm verbessern.

 

Ferner wird von Führungskräften erwartet, dass sie sich regelmäßig nach dem Befinden ihrer Mitarbeitenden erkundigen, werden aber selbst eher selten gefragt, wie es ihnen geht. Auch dies wirkt sich auf ihre Beziehungen zum Team aus. Es lohnt sich daher, auch die Führungskraft des Öfteren aufrichtig zu fragen, wie es ihr geht.

 

Im Falle von Staffing offenbart sich, dass es nicht immer nur am Kopf des Fisches liegt, ob er stinkt oder nicht. Er kann von beiden Seiten einen unschönen Geruch verströmen. Wer geführt werden will, der muss sich auch führen lassen und akzeptieren, dass Entscheidungen für ihn getroffen werden. Ein Team ist mehr als die Summe einzelner Individuen, die zufällig zusammenarbeiten. Nicht in einer Leitungsposition zu sein, entbindet nicht von eigenverantwortlichem, menschlichem Handeln. Trefflich hat es Viktor Frankl formuliert: „Mensch-sein heißt Bewusst-sein und Verantwortlich-sein.“13 Dem ist nichts hinzuzufügen.

 

 

Quellen

  1. Mobbing am Arbeitsplatz durch den Chef (2020, 17. August). Deutscher Gewerkschaftsbund. https://www.1.de/mobbing-am-arbeitsplatz-was-tun-bei-mobbing-durch-chef-oder-kollegen
  2. Mobbing, Staffing, Bossing und Bullying (n. d.). Wiki to Yes – Mediation unlimited. https://wiki-to-yes.org/tiki-print.php?date=0&page=Mobbing&display=pdf
  3. Büntemeyer, L. (2019). Staffing – Wenn Mitarbeiter ihren Chef mobben. Impulse –Netzwerk und Know-how für Unternehmer. https://www.impulse.de/personal/staffing/7399493.html
  4. Staffing: Was das ist und was man dagegen tun kann (n. d.). Wirtschaftsforum. https://www.wirtschaftsforum.de/tipps/staffing-was-das-ist-und-was-man-dagegen-tun-kann
  5. Mai, J. (2023). Staffing: Wenn der Boss gemobbt wird. Karrierebibel. https://karrierebibel.de/staffing/
  6. Püttjer, C. & Schnierda (n. d.). Staffing ▷DAS tun, wenn Chef/-in vom Team GEMOBBT wird. Karriereakademie.de. https://www.karriereakademie.de/staffing
  7. Köllner, V. (2017). Mobbing am Arbeitsplatz. Fehlzeiten-Report 2017: Krise und Gesundheit–Ursachen, Prävention, Bewältigung, 121-129. https://www.researchgate.net/profile/Volker-Koellner/publication/319987605_Mobbing_am_Arbeitsplatz/links/5a47a4560f7e9ba868ab475e/Mobbing-am-Arbeitsplatz.pdf
  8. Redaktion business-wissen.de (2022, 30. August). Staffing – mit mobbenden Mitarbeitern umgehen. Business-wissen.de. https://www.business-wissen.de/artikel/staffing-mit-mobbenden-mitarbeitern-umgehen/
  9. Roy, A. (n. d.). Staffing: Wenn die Belegschaft den Aufstand probt!. Cornerstone. https://www.cornerstoneondemand.com/de/resources/article/staffing-wenn-die-belegschaft-den-aufstand-probt-de/
  10. Meschkutat, B., Stackelbeck, M., Langenhoff, G., & für Arbeitsschutz, B. (2002). Mobbing-Report: eine Repräsentativstudie für die Bundesrepublik Deutschland. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin.
  11. Coyne, I., Seigne, E., & Randall, P. (2000). Predicting workplace victim status from personality. European journal of work and organizational psychology, 9(3), 335-349. https://doi.org/10.1080/135943200417957
  12. Rammsayer, T., & Schmiga, K. (2003). Mobbing und Persönlichkeit: Unterschiede in grundlegenden Persönlichkeitsdimensionen zwischen Mobbing-Betroffenen und Nicht-Betroffenen. Wirtschaftspsychologie, 5(2), 3-11.
  13. Frankl, V. E. (2005). Ärztliche Seelsorge: Grundlagen der Logotherapie und Existenzanalyse. Paul Zsolnay Verlag.