Selbstbewusst sein, Grenzen setzen, für sich selbst einstehen, mehr auf sich achten…
Solche Sätze kennen Sie vermutlich. Vielleicht stehen diese sogar auf Ihrer Liste der guten Vorsätze für 2025. Hand aufs Herz: Der erste Monat des Jahres 2025 liegt hinter uns. Wie oft haben Sie sich schon zu Gefälligkeiten hinreißen lassen, die Sie hinterher bereut haben? Wie oft konnten andere auf Ihre zeitliche Gestaltung Einfluss nehmen, obwohl Sie ganz andere Pläne hatten? Wie oft haben Sie die Wünsche anderer Ihren eigenen vorgeordnet? Und wir reden hier nicht von Unterstützung für Menschen in einer Notlage.
Wie können wir lernen, auf unsere Bedürfnisse zu achten und Nein zu sagen?
Das Ablehnen einer Anfrage, eines Angebotes, einer Bitte oder Einladung verbinden wir häufig mit etwas Negativem. Zugespitzt formuliert: Ein Nein ist ein Ja zu uns selbst. Ein Ja zu der Wahrung unserer Grenzen, dass wir unser eigenes Wohlbefinden entnehmen und unsere persönlichen Ressourcen im Blick behalten.
Klingt in der Theorie logisch, ist aber in der Praxis schwer umzusetzen. Warum?
Es gibt verschiedene Faktoren, die eine Rolle spielen bei der Beantwortung dieser Frage. Wir sind soziale Wesen, gleichsam „Herdentiere“. Das Gefühl der Zugehörigkeit ist existenziell. Ein Nein lässt sich als Regelbruch und Aufkündigen der Gemeinschaftlichkeit verstehen. Die Prägung in der Kindheit und innere Glaubenssätze spielen bei dieser Wahrnehmung eine entscheidende Rolle. Oft steckt unsere Angst vor Ablehnung dahinter oder auch die Sorge, für egoistisch oder faul gehalten zu werden. Sätze wie „sei ein liebes Kind“, aber auch „erst die Arbeit, dann das Vergnügen“, „das Leben ist kein Ponyhof“ oder im Englischen „life is not a cherrybowl“ kennt wohl jeder und jede von uns.
Situationsbedingte Faktoren wie Stress, Zeitdruck, Unsicherheit oder hohe Komplexität erschweren es zusätzlich, uns abzugrenzen. Unter Druck handeln wir oft intuitiv statt rational – nicht immer zu unserem Besten. Die Digitalisierung, die damit einher gehende Reizüberflutung und steigende Arbeitsverdichtung verstärken das Problem. Oft fällt uns das Nein-Sagen im beruflichen Kontext schwerer als im privaten Umfeld. Der Schreibtisch ist voll, Kolleg:innen bitten um Einschätzungen, die Chefetage erinnert an Deadlines – statt weitere Aufgaben abzulehnen, nehmen wir sie an. Personalknappheit, ein kompetitives Umfeld oder die Belohnung sozial erwünschten Benehmens tun ihr Übriges.
Wie können wir das Neinsagen üben, ohne als egoistisch zu gelten?
Gelingen kann uns Abgrenzung, indem wir zunächst auf unsere Muster, Bedürfnisse und Glaubenssätze schauen und uns diese bewusst machen.
Und wie so oft im Leben gilt auch bei einer Ablehnung „Der Ton macht die Musik“. Es ist hilfreich, Empathie zu zeigen und zu signalisieren, dass ich die Bitte des Gegenübers höre und ernstnehme. Kann ich der Bitte jedoch nicht entsprechen, kann es in einigen Situationen gut sein, das Nein zu erklären, damit das Gegenüber unsere Ablehnung nachvollziehen und Missverständnissen vorgebeugt werden kann.
Gemeinsam nach Kompromissen oder Alternativen zu suchen, Aufgaben zu delegieren oder die Prioritäten zu überprüfen und überhaupt zu kommunizieren, sind dabei hilfreiche Schritte. Auch das Aufzeigen von möglichen Konsequenzen, beispielsweise das Liegenbleiben von anderen To Dos, kann dazu beitragen, die eigenen Kapazitäten zu verdeutlichen und transparent zu kommunizieren.
Beispielsätze könnten sein:
- "Danke, dass du an mich denkst! Leider habe ich gerade viel zu tun. Es wäre super, wenn du jemand anderen um Hilfe bitten könntest."
- "Ich weiß dein Vertrauen zu schätzen, aber momentan habe ich keine Kapazitäten, eine weitere Aufgabe zu übernehmen."
- "Ich möchte dich nicht enttäuschen, kann deine Einladung aber leider nicht annehmen. Ich gebe dir gerne Bescheid, wenn mir wieder nach Gesellschaft ist."
- "Ich schätze unseren Austausch sehr, aber ich kann heute Abend leider nicht mitkommen."
- "Ich hoffe, du kannst mich verstehen und bin mir sicher, dass wir uns bald wiedersehen."
Was, wenn die Reaktion negativ ausfällt?
Dass unsere Mitmenschen erst einmal überrascht bzw. nicht erfreut sind, wenn wir sonst eher zum Ja-Sagen tendieren, hilfsbereit und um das Wohl von anderen bemüht sind, ist verständlich. In der Regel wird unsere Abgrenzung dennoch verstanden. Es ist nicht unsere Aufgabe, das Wohlbefinden oder die Stimmung von anderen aufrechtzuerhalten zulasten unserer eigenen. Gerade gegenüber Personen, die gar nicht damit gerechnet haben, ist unser Nein vielleicht am wichtigsten.
Nein-Sagen ist Übungssache.
Selbstreflexion, Übungsbücher, Podcasts und Achtsamkeitsübungen können helfen. Auch Gespräche mit Freund:innen, Vertrauenspersonen oder Therapeut:innen unterstützen diesen Prozess. Ein erster Schritt ist es, die eigenen "People-Pleaser"-Momente zu erkennen:
- Wann habe ich mich zuletzt anders verhalten, als ich es eigentlich wollte?
- Warum habe ich so gehandelt?
- Wo stehe ich mir selbst im Weg?
- Was wäre mir lieber gewesen?
Hier kann auch professionelle Unterstützung hilfreich sein, um an diesen Mustern zu arbeiten. Ein gängiges Thema in der EAP-Beratung.
Die Vorteile des Neinsagens:
- Gesunde Grenzen setzen – Wir bestimmen selbst, was für uns in Ordnung ist.
- Respekt für sich selbst – Unsere Zeit und Bedürfnisse sind genauso wertvoll wie die der anderen. Nein zu sagen ist ein Zeichen von Selbstachtung.
- Vermeidung von Überlastung – Zu viele Verpflichtungen führen zu Stress und Erschöpfung. Ein klares Nein kann helfen, Burnout zu vermeiden.
- Ehrlichere Beziehungen – Menschen, die uns respektieren, akzeptieren in der Regel ein Nein.
- Mehr Zeit für das Wichtige – Wer nicht zu allem Ja sagt, hat mehr Raum für das, was wirklich zählt.
Übung macht den Meister bzw. die Meisterin. 😊
Wenn Sie das Thema reflektieren möchten, kontaktieren Sie uns gerne!
Literatur:
Nein sagen ohne schlechtes Gewissen - Workbook von Franca Cerutti
Grenzen setzen & Nein sagen für Harmoniesüchtige von Frank Steinebronn
Everbody’s Darling, Everybody’s Depp: Tappen Sie nicht in die Harmoniefalle! Von Irene Becker
Podcasts:
Die Lösung – der Psychologie-Podcast in der ARD Audiothek mit Maren Wiechsers und Verena Fiebiger
Betreutes Fühlen von Leon Windscheid und Atze Schröder