Noch eine Krise: Die Quarterlife-Crisis

Die meisten Menschen werden den Begriff „Midlife-Crisis“ schon einmal gehört haben. Gemeint ist damit eine Lebensphase im Alter zwischen dem 45. und 65. Lebensjahr, in der Menschen innehalten und kritisch auf ihr bisheriges Leben zurückblicken. Habe ich das erreicht, was ich wollte? War die Wahl meiner Beziehungen und meines beruflichen Werdegangs richtig? Bin ich glücklich mit meinem jetzigen Leben? Auch körperliche und hormonelle Veränderungen können eine bedeutsame Rolle spielen und die Krise beeinflussen.[1]

In den letzten Jahren ist vermehrt ein anderer Begriff hinzugekommen: Quarterlife-Crisis. Er beschreibt ein Phänomen vieler junger Menschen. Gemeint ist ein Zustand der Unsicherheit, der im Lebensabschnitt nach dem Erwachsenwerden auftritt und sich sogar zu einer seelischen Krise ausweiten kann. Dieser Zustand tritt meist im Alter von 20 bis 30 Jahren auf. Der Begriff der Quarterlife-Crisis wurde bereits 2001 von den beiden amerikanischen Autorinnen Abby Wilner und Alexandra Robbins[2] geprägt. Häufig befinden sich betroffene Menschen im Übergang von der Bildungswelt in die Arbeitswelt.[3]

Obwohl sie sich in der „Blüte des Lebens“, auf dem Zenit der körperlichen Gesundheit und Vitalität befinden und vor offenen Türen für den eigenen Lebensentwurf stehen, die nur durchschritten werden müssen, geht es vielen jungen Menschen psychisch nicht gut. Sie sind niedergeschlagen und müde, hegen Selbstzweifel, fühlen sich einsam, hoffnungslos, und Zukunftsängste suchen sich ihren Weg in die Köpfe. Bei manchen führt dieses Erleben in eine depressive Episode oder eine Angststörung.

Doch wie passt das zusammen?

Annika Lang, Beraterin bei INSITE Interventions erklärt: „Hintergrund für diese Ängste und Überforderungsgefühle sind paradoxerweise die vielen verschiedenen Möglichkeiten und die zu treffenden Entscheidungen, von denen einige für das gesamte weitere Leben ausschlaggebend sein können.

Für welchen Beruf entscheide ich mich? Wie viel Arbeit und wie viel Freizeit möchte und brauche ich? Beziehung? Und wenn ja, welche? Möchte ich eine Familie gründen? Und über allem schwebt die Frage: Was ist, wenn ich mich falsch entscheide oder scheitere? Bin ich gut genug?

Etwas provokativ könnte man sagen: Mit der Quarterlife-Crisis versuchen wir mehr oder weniger bewusst, einer Midlife-Crisis vorzubeugen.“, formuliert Annika Lang treffend.

Veränderungen und Schwellensituationen sind für die meisten Menschen nicht einfach. Eine sichere und uns bekannte Situation (z.B. das Studium) wird für etwas Neues und damit auch Ungewisses (z.B. der erste Job) verlassen.

An junge Erwachsene richten sich viele Erwartungen. „Sie finden sich in einer leistungsorientieren, schnelllebigen, aber auch hedonistischen und selbst-bezogenen Welt wieder. Viele Konzepte stehen sogar konträr zueinander. Dass das verunsichert, ist ganz normal.“, so die Beraterin.

Zudem wandeln sich in diesem Lebensabschnitt auch viele Konstanten im sozialen Umfeld: Wohnorte ändern sich, Freundschaften aus der Schule, Ausbildung oder Uni lösen sich, die Jugendliebe endet, Eltern trennen sich oder Menschen versterben. Diese Veränderungen, Abschiede und Neuorientierungen haben Auswirkungen.[4]

Es ist hilfreich, sich dem Wort Krise ganz unvoreingenommen zu nähern. Das Wort κρίσις kommt aus dem Griechischen und heißt übersetzt Entscheidung.

Sich entscheiden zu müssen, kann als schmerzhaft empfunden werden. „Sich für etwas zu entscheiden, heißt immer auch wogegen. Aber Krisen zu durchleben, gehört zum Leben. Die Empfindungen sind ein Signal, dass wir uns in einem Veränderungsprozess befinden.“, führt Annika Lang aus.

Um gut durch diese Phase zu kommen, hilft Innehalten und sich (wieder) bewusst zu machen, was in anspruchsvollen Situationen als hilfreich empfunden wird. Und das kann etwas ganz anderes sein, als was der Freund, die Schwester oder das Teammitglied als förderlich empfinden. Die eigenen Stärken zu kennen und sich daran zu erinnern, vielleicht auch durch Visualisierung, hilft, widerstandsfähig zu werden. Rückblickend ergibt vieles Sinn und oft können Veränderungen als Chance gesehen werden.[5]

Die Erkenntnis „Ich kann mein Leben gestalten - ich bin in der Situation, eine Wahl zu haben.“, kann schließlich zu einer beglückenden Erfahrung werden.

Sollten die bisherigen Bewältigungsstrategien nicht ausreichen, kann eine psychosoziale Beratung, wie sie INSITE ihren Kunden bietet, hilfreich sein. Der Austausch mit einem Experten oder einer Expertin kann helfen, neue Perspektiven einzunehmen und an einer Lösung zu arbeiten.

 


2 Alexandra Robbins, Abby Wilner: Quarterlife Crisis. Die Sinnkrise der Mittzwanziger. Ullstein Verlag, 2003, ISBN 3-548-36677-5.